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Raus aus der Vermarktung – Andreas Schilling im Interview mit MEEDIA

Von der Vermarktung zum Tech-Consulter: Ex-Bauer-Vermarktungschef Andreas Schilling geht neue Wege im Audiogeschäft. Der CEO von audioscale will mit einer neuen Technologie den Markt für die programmatische Ausspielung von Audiokampagnen aufmischen. Wie? Das erzählt er bei MEEDIA.

Jahrelang ist Andreas Schilling als Vermarkter der Medienbranche bestens bekannt. Ob beim Münchener Verlagsriesen Hubert Burda Media mit den Flaggschiffen „Focus“ oder „Bunte“ oder beim Hamburger Konkurrenten Bauer Media Group – große Teile seines Berufslebens war er vor allem in der Printbranche aktiv. Dann bricht er zu neuen Ufern auf. Er geht ins Audio-Geschäft und übernimmt die Vermarktung bei RAUDIO.BIZ, der sich als nationaler Audiovermarkter positionieren will. Doch der Versuch misslingt. Die Platzhirsche RMS und ARD MEDIA drängen das Unternehmen aus dem Geschäft.

Schilling stampft die Marke RAUDIO.BIZ ein und wechselt als CEO zu audioscale. Warum er die klassische Vermarktungsbranche verlässt und wie er jetzt mit der programmatischen Ausspielung von Kampagnen angreifen will, erzählt Schilling im großen MEEDIA-lnterview.

Herr Schilling. Inflation, hohe Zinsen, schwaches Konsumklima. Die konjunkturelle Situation in Deutschland bleibt weiter angespannt. Nun gilt der Radiomarkt seit Jahren als krisenresistent. Ist dies auch 2024 der Fall?

Ja, ich gehe davon aus, dass sich Radio auch in diesem Jahr weiterhin als sehr krisenresistent erweist. Denn Radio wird per se im Media-Mix immer eine große Rolle spielen. Doch geht der Blick über Radio hinaus.

Und das wäre?

Der Fokus richtet sich auf den Audiokanal als festen Bestandteil der Mediennutzung. Und davon ist Radio nur ein Teil. Denn unabhängig von Medium, Inhalten und Ort, egal ob Podcast, Smart Speaker, Musik oder Nachrichten, egal ob zu Hause, im Auto oder beim Sport – die Menschen streamen immer mehr Hörinhalte auf mobilen Abspielgeräten wie Smartphones oder Tablets. Und diese nehmen in der Vermarktung von Audioinhalten an Bedeutung zu.

Apropos Vermarktungsgeschäft. Wie entwickelt sich der Bereich?

Ob UKW, DAB+ oder Digital Audio – wenn wir die gesamte Audiowelt betrachten, bietet die Audio-Vermarktung große Chancen. Wie stark sich allerdings das Werbewachstum in den jeweiligen Segmenten entwickelt, hängt im Wesentlichen von der Innovationskraft in der Radio-/Audio-Branche und der Bereitschaft bestehender Strukturen zur Transformation in die digitale Zukunft ab.

Transformation?

Es gibt heute noch Publisher mit großen Funkhäusern und Redaktionen, die Audioinhalte gleichermaßen produzieren und vermarkten. Doch hat sich die Nutzung von Audio rapide gewandelt. Die Menschen konsumieren Inhalte zunehmend digital und unabhängig von Zeit und Ort. Die Zielgruppen sind damit 24/7 adressierbar.

Dadurch haben Publisher die Chance, an insgesamt wachsenden Werbebudgets zu partizipieren. Doch stehen sie dann im Wettbewerb mit digitalen Playern, wie z. B. Spotify als Audio Streaming Service, oder Azerion als Entertainment- und Mediaplattform, die sich vom Werbekuchen alle ein Stück abschneiden wollen.

Hat sich RAUDIO.BIZ deshalb aus dem Vermarktungsgeschäft zurückgezogen?

RAUDIO.BIZ hatte sich von Beginn an zum Ziel gesetzt, als nationaler Vermarkter von New Audio die Vorteile des Massenmediums Radio mit den Möglichkeiten von individualisierten On-Demand-Lösungen in der digitalen Audiowelt zu verbinden und den Radio-/ Audiomarkt entscheidend weiterzuentwickeln. So entstand auch der Name RAUDIO als Symbiose von Radio und Audio. Ausgangspunkt war damals die Vermarktung der Programme der Teutocast-Gruppe mit Sportradio Deutschland, Femotion Radio und dpd Driver’s Radio.

Und was haben Sie sich hier vorgestellt?

Zum Start von RAUDIO.BIZ im Jahr 2021 war das Marktumfeld vielversprechend, um einen nationalen Radio-/ Audiovermarkter aufzubauen. Dazu trug insbesondere die Entwicklung von DAB+ und der Start des zweiten nationalen DAB+ Multiplexes bei. Inzwischen sind bundesweit 25 private Radioprogramme unterschiedlicher Genres und in bester Digitalqualität empfangbar. Wir sahen die unternehmerische Chance, RAUDIO.BIZ neben RMS und ARD MEDIA als weiteren nationalen Vermarkter mit den Schwerpunkten DAB+ und Digital Audio zu positionieren.

 Doch warum hat dies nicht geklappt?

Der Chance, nationale Zielgruppenformate auf dem Kanal „Hören“ vom Start weg erfolgreich im Werbemarkt zu etablieren, standen einerseits die hohen Einstiegshürden in der Generierung von Reichweiten- und Zielgruppendaten gegenüber, an denen in der klassischen Radiovermarktung nach wie vor kein Weg vorbeiführt. Ein Umstand, den wir weitestgehend über kreative Vermarktungsansätze kompensieren konnten.

Andererseits befindet sich die Radiobranche immer noch in einem starken intramedialen Wettbewerb. Dies wurde besonders deutlich, als wir zeitgleich mit dem Start des neuen DAB+ Multiplexes in NRW Ende 2021 und 16 neuen Radioprogrammen, mit RAUDIO.BIZ die unternehmerische Chance in der regionalen Vermarktung ergriffen. Jedoch waren zu diesem Zeitpunkt nur knapp die Hälfte der Veranstalter bereit uns über die „New Audio Kombi NRW“ ihr Mandat zu übertragen. Und das ohne jegliches Eigenrisiko. In der Vermarktung von Digital Audio scheiterte die Gewinnung von Exklusiv-Mandanten an utopischen Garantieforderungen etablierter Radio-Publisher. So blieb uns vorrangig die Rolle als Co-Vermarkter mit unterschiedlichen Formen von „Blacklisting“, die uns in der Marktbearbeitung erheblich einschränkten. Hier waren wir quasi mit Handschellen unterwegs.

Handschellen?

Ja, das lässt sich so interpretieren. Die Publisher und deren Vermarkter fürchteten, dass wir ihnen ihr Terrain streitig machen – nach dem Motto: Das ist unser Besitzstand, das sind unsere Kunden. Die habt ihr nicht anzusprechen. Dabei war es nie unsere Absicht, etablierten Vermarktern den besagten Platz an der Sonne streitig zu machen.

Sondern?

Vielmehr war es stets unsere Intention, Digital Audio und den Zukunftsmarkt Programmatic Audio partnerschaftlich zu gestalten und weiterzuentwickeln. Denn die Zukunft liegt im programmatischen Geschäft und bietet perspektivisch große Wachstumspotenziale.

 


RADIO HAT SICH IMMER WIEDER ALS

KRISENRESISTENT ERWIESEN.


 

Und das hat nicht geklappt?

Leider ist es uns nicht gelungen, Seite an Seite mit den Vermarktern zu arbeiten. Wir konnten sie nicht davon überzeugen, in einer wie auch immer gelagerten Partnerschaft, die Chancen der Digital-Vermarktung gemeinsam zu nutzen.

Waren dies die einzigen Probleme?

Nein, es hat sich vielmehr bestätigt, dass es für einen nationalen Vermarkter ohne eigenes, originäres Werbeinventar eine immense Herausforderung darstellt, im Markt Fuß zu fassen. Dafür benötigt es einen langen Atem. Mit relevantem Erstinventar im Gepäck wäre es uns möglich gewesen, das Geschäft kurzfristig in eigener Regie zu entwickeln.

Daher die Trennung?

Als Startup sind wir in der Lage, auf Marktentwicklungen schnell zu reagieren. Dementsprechend haben wir uns entschieden, das Vermarktungsgeschäft bei RAUDIO.BIZ zu beenden und die Marke nicht weiter fortzuführen.

Und jetzt?

Stattdessen bringen wir unsere Technologie- und Personalressourcen beim Hamburger AdTech-Unternehmen amy ein und werden künftig unter dem Dach von amy gänzlich auf den technologisch-programmatischen Wandel im Audio- und Radiomarkt setzen. amy ermöglicht Publishern, Agenturen und Vermarktern die automatisierte und programmatische Buchung und Vermarktung von Radio- und Audio-lnventaren.

Verkauft RAUDIO.BIZ nach ihrer Auflösung noch die NRW-Kombi?

Unsere Anfang 2023 gegründete „New Audio Kombi NRW“ richtet sich im bevölkerungs-reichsten Bundesland primär an Werbetreibende. Da haben wir viel Aufbauarbeit geleistet. Derzeit sind wir in aussichtsreichen Gesprächen mit den Kombi­ Partnern, dass die zwischenzeitlich im Markt etablierte Vermarktungskombi weiter fortgeführt wird.

Jetzt sind Sie seit dem 1. Juli 2024 Partner und CEO von audioscale, um den programmatischen Verkauf von Radio- und Audioinventaren auszubauen. Was haben sie denn hier vor?

audioscale ist künftig eine hundertprozentige Tochter der amy GmbH. Als Consulting­ Unternehmen adressieren wir das Bedürfnis der Marktteilnehmer nach Orientierung im Zukunftsmarkt Digital Audio, in dem mit einer Vielzahl von technologischen Optionen Wertschöpfung für alle Marktteilnehmer möglich ist. Als Business-Enabler steht für audioscale der bestmögliche Einsatz der proprietären AdTech-Plattform amy für Publisher, Vermarkter, Agenturen und Werbetreibende im Fokus, ohne dass wir dabei eigene Media-Interessen verfolgen.

Welche Vorteile bringt die Technologie?

amy ist eine unabhängige, technologische Plattform für die automatisierte Wertschöpfung von Audio-Werbeinventaren (Programmatic, Online Booking) für lineare Radioprogramme (UKW, DAB+). amy ist cloudbasiert und wird als SaaS (Software as a Service) betrieben. Auf der technologischen Basis von amy implementiert, ermöglicht die Audio Ad lntelligence (AAi) die konvergente Vermarktung von linearem und digitalem Audio-lnventar, abgebildet in einer integrierten programmatischen Audiokampagne. amy bietet insbesondere für die bereits stark positionierten Publisher im nationalen Radiomarkt große Vorteile.

Welche?

amy ist einfach zu implementieren und berücksichtigt bestehende Media- sowie Geschäftsmodelle. Gleichzeitig sorgt die Technologie für eine bessere lnventarauslastung und damit einhergehend für mehr Ertrag.

Und womit verdient audioscale Geld?

audioscale berechnet für die Beratung von Partnern und Stakeholdern keine originäre Gebühr. Wir partizipieren an den Transaktionen, die über amy laufen. Das heißt: Je mehr Partner an amy angeschlossen sind und je mehr Buchungen über amy abgewickelt werden, desto mehr profitiert audioscale davon.

Findet das neue System die Akzeptanz im Markt?

Mit amy sind wir längst über die Testphase hinaus und befinden uns im operativen Geschäftsbetrieb in der Ausspielung programmatischer Kampagnen. Studio Gong und Radio NRJ waren unsere ersten Partner auf Publisher- und Vermarkterseite, weitere werden unmittelbar folgen. Das Interesse bei den Publishern ist groß. Den Agenturen müssen wir nicht erklären, wie das programmatische Geschäft funktioniert. Ganz im Gegenteil. Programmatic Advertising ist fester Bestandteil im Alltag der Agenturen.

Daher begrüßen die Agenturpartner unsere technologische Architektur von amy zur Automatisierung und programmatischen Erweiterung des Audio-/Radio­ Werbegeschäftes.

Ist die Entwicklung auf dem deutschen Markt denn noch nicht so weit fortgeschritten?

Programmatic Audio ist in Deutschland bei weitem noch nicht so ausgereizt wie in anderen Märkten. Daher sehen wir große Chancen, um die Digitalisierung der Radio-/ Audiovermarktung mithilfe der amy-Technologie weiter voranzutreiben. Das würde das Geschäft zwischen Agenturen, Publishern und Vermarktern erheblich erleichtern und die Branche schneller in die digitale Zukunft führen. amy verfügt schon jetzt über das Potenzial, technologischer Marktstandard für Programmatic Audio zu werden.

 


WENN SICH RMS UND ARD MEDIA FÜR DIE

TECHNOLOGIE VON AMY ENTSCHEIDEN, WÜRDE

DIES DEN MARKT BEFLÜGELN.


 

Zu einem großen Player auf dem deutschen Radiomarkt zählt RTL Radio. Sind Sie mit dem Unternehmen im Gespräch?

RTL Radio Deutschland vereint ein sehr spannendes Portfolio das national durch die RMS vermarktet wird. Interessant ist zu beobachten, wie der RTL-Vermarkter Ad Alliance, bisher mit Fokus auf der Bewegtbild- und Digitalvermarktung, sein Portfolio weiter ausbaut. Hier sind in Zukunft sicher unterschiedliche Konstellationen denkbar. Um Ihre Frage aber klar zu beantworten: Mit amy als unabhängige technologische Plattform sprechen wir mit allen, die über Radio- und Autoinventare verfügen.

Nun arbeitet auch die RMS daran, die programmatische Vermarktung von Radio-/Audioinhalten anzukurbeln. Ist die RMS für Sie ein Konkurrent?

Die RMS verfügt über keine proprietäre Technologie zur programmatischen Vermarktung. Mit der im Herbst 2023 gestarteten audioXchange betreiben RMS und ARD MEDIA als Gemeinschaftsprojekt eine Online-Buchungsplattform, die vorhandene Systeme im Markt zu einem durchgängigen Prozess verbindet und die Abläufe von den Einkaufssystemen der Agenturen bis zu den Dispositionssystemen der Vermarkter optimiert. Die Plattform ist aber – Stand heute – nicht in der Lage, programmatische Buchungen von Inventaren vorzunehmen. Dazu bräuchten beide Unternehmen einen technologischen Partner. Und hier kommt amy ins Spiel.

Dann brauchen Sie eigentlich nur noch die ARD MEDIA und RMS von der amy Technologie zu überzeugen?

Wenn sich RMS und ARD MEDIA für die Technologie von amy entscheiden, würde dies den Markt für programmatische Buchungen erheblich beflügeln. Gleichzeitig hätten die etablierten Publisher und Vermarkter den digitalen Wettbewerbern, die mit ihren Self-Service-Werbeplattformen mehr und mehr in den Markt kommen, etwas entgegenzusetzen. In der Positionierung von amy als unabhängige, technologische Plattform sprechen wir derzeit mit allen potenziellen Partnern. Unser primäres Ziel ist es jedoch, zunächst Kooperationen mit Publishern und/oder Vermarktern aufzubauen.

(Interview in MEEDIA, erschienen am 5. September 2024)

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